Die Schwarzwaldklinik

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Die Dinggerichtsversammlung als Repräsentation der entstehenden

Glottertäler Teilgemeinden im Spätmittelalter

 

 

 

Einführung

 

Der öffentliche, repräsentative Ausdruck der Zugehörigkeit zu einem Grundherrschaftsverband und zu einem Gemeindeverband war in der weitgehend analphabetischen Epoche des Mittelalters die Dinggerichtsversammlung. Die wichtigsten Vorgänge, die am Gerichtstag stattfanden, bilden die „Huldigung“ an die Herrschaftsträger, die Verhandlung der lokalen Kriminalfälle und der Vortrag der am Ort geltenden Rechtsbestimmungen. Der Vortrag der Rechtsbestimmungen erfolgte ursprünglich nur aus dem Gedächtniswissen der dafür ermächtigten Sprecher unter den Bauern der betroffenen Gemeinde.

 

Seit Anfang des 14. Jahrhunderts setzte sich jedoch allgemein im südwestdeutschen Sprachraum die schriftliche Ausfertigung und das Vorlesen des Textes durch. Die Bauern akzeptierten dies – obwohl sie die Schriftzeichen nicht entziffern konnten, hatte man sie überzeugt, dass die schriftliche Fixierung sicherer und unanfechtbarer sei.

 

Niedergeschrieben wurden die einzelnen Rechtsbestimmungen auf einem sogenannten „Dingrodel“, eine Schriftrolle (lat. 'rotulus') aus Pergament oder Papier. Denjenigen Dingrödeln, die das Mittelalter im Archiv unversehrt überdauert haben, lassen sich die jeweiligen Rechtsbestimmungen und die Anweisungen zum Hergang der Dinggerichtsversammlung für diese Zeit entnehmen.

 

Für die Gemeinden des Glotterales sind 3 solcher Dingrödel erhalten geblieben, die nach Schrifttyp und Inhalt in zwei Fällen der Mitte des 14. Jahrhunderts zuzuordnen sind, sowie ein das Glottertal zusammen mit anderen Gemeinden betreffender Rodel aus dem Archiv des Klosters St. Peter, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erstellt worden ist.

 

 

Die Verhältnisse im domkapitel-konstanzischen Dinggerichtsbezirk

 

Nicht alle Siedlungsformen brauchen als Gemeinde zusammengeschlossen zu sein; am Beginn einer politischen Erfassung des Glottertalgebietes im Mittelalter ist zunächst eine andere Form der organisierten Bodenbearbeitung und des Zusammenlebens auszumachen: die Fronhofverfassung, der „Villikation“.

 

Villikation leitet sich vom lateinischen „villicus“ ab; so hieß der Verwalter einer „villa“ oder „curia“, „curtis“, zu deutsch eines Fronhofes oder Haupthofes innerhalb einer hochmittelalterlichen Grundherrschaft. In den volkssprachlichen Quellen des späteren Mittelalters wird der „villicus“ mit „Meier“ übersetzt.

 

Schriftlich nachweisen lässt sich seit dem Jahre 962 der Fronhof Maurach (heute Gemarkung Denzlingen), damals als „curia muron“ bezeichnet. Diesen hatte der deutsche König Otto I. im Jahre 962 einem seiner verlässlichsten Gefolgsleute, dem Bischof von Konstanz, mit allem Zubehör geschenkt. Darunter fielen sowohl die „mancipia“ - so werden in der Urkunde die dem Hof verpflichteten, unfreien Landarbeiter genannt -, als auch ausgedehnte Ländereien, von denen eine Teil im oberen Glottertal lag. In der großen Rodungsperiode im Schwarzwald vom 12. bis 13. Jahrhundert muss auch hier Gelände an siedlungswillige Bauern ausgegeben worden sein.

 

Nach der Urbarmachung verkaufte der Bischof von Konstanz seine hiesige Grundherrschaft an das Domkapitel in Konstanz. Die Domkapitulare ließen im ausgehenden 14. Jahrhundert ein Güterverzeichnis (zeitgönnisch: ein „Urbar“) anfertigen, aus dem hervorgeht, dass im oberen Glottertal 18 vollständige Bauernlehen bewirtschaftet wurden. Etwa gleichzeitig wurden von den Bauern die für sie geltenden gewohnheitlichen Ansiedlungs- und Rechtsbestimmungen erfragt und auf einer Pergamentrolle, den „Dingrodel“, aufgeschrieben.

 

Aus dem Rodel des domkapitel-konstanzischen Dinghofes im Oberglottertal, dessen Schriftbild auf eine Aufzeichnungszeit Mitte des 14. Jahrhunderts hindeutet, ergibt sich nun folgendes:

Die erste Bestimmung besagt, dass dreimal im Jahr eine Dinggerichtssitzung einberufen werden soll. Und zwar eine Sitzung Mitte Februar, eine Mitte Mai, eine im Herbst. Diese Bestimmung findet sich unter dem Oberbegriff der „Lehenrechte“ der Domherren von Konstanz und nicht unter den Rechten der Lehenleute. Das heißt, die Versammlung einzuberufen und den Rechtsvortrag zu fordern war eine der Grundherrschaft zustehende Befugnis gegenüber den Glottertäler Bauern. Die Versammlungen mussten jeweils zwei Wochen vorher angekündigt werden; mit 6 Schilling Gebühr wurde bestraft, wer am Gerichtstag nicht erschien, ehe der Rechtsvortrag begann. Das Strafgeld sollte aufgeteilt werden: Eine Hälfte erhielt der Meier als Vertreter der Grundherrschaft, die andere Hälfte erhielten die anwesenden Bauern zusammen als Gemeinde. Die Bestimmung lautet bezeichnenderweise, dass man vor dem Beginn des Rechtsvortrags - „e daz reht werd gesprochen“ - anwesend zu sein hatte, denn hier zuzuhören und das Gesagte im Gedächtnis zu behalten war verpflichtend. Die Wichtigkeit und der herausragende Platz dieser Bestimmungen an erster Stelle wird verständlich unter den Bedingungen einer analphabetischen Gesellschaft: Sie ist auf regelmäßige, institutionalisierte Zusammenkünfte angewiesen, weil niemand außer den gebildeten Klerikern die Rechtssätze lesen und auch keine Unterschrift hinterlegen könnte, mit der die Vereinbarungen bestätigt und dauerhaft gemacht werden.

 

Verantwortliche für den friedlichen Ablauf und ebenfalls Träger der Amtsgewalt war der Vogt als Vertreter der Gerichtsherrschaft, die der Graf von Freiburg innehielt. Polizeiliche Funktion übte ein „Fürgebüttel“ aus. Sowohl der Meier als auch der Vogt und der „Fürgebüttel“ waren im Oberglottertal ansässige Bauern – was für die relativ weitgehende Selbstständigkeit der Gemeinde zeugt. Meier und Vogt saßen dem Dinggericht gemeinsam vor; von den Strafgeldern, die als Verbrechensbuße aufgrund der Gerichtsverhandlung fällig werden, erhielt der Meier für die Grundherrschaft zwei Drittel, der Vogt für die Gerichtsherrschaft ein Drittel.

 

Als erster und wichtigster politischer Anspruch der Lehensbauern gegenüber dem Domkapitel wurde vorgetragen, dass die Konstanzer Domherren für ihren Schutz zu sorgen hatten, wenn ein Übergriff von außen drohte. Danach folgte noch im selben Vortragspargraphen unmittelbar ein Rechtssatz, der den Bauern die freie Veräußerung ihrer Güter sicherte, ein Recht, das nicht selbstverständlich war und deshalb von den Bauern als erstrangig angesehen wurde:

„Wir sont ouch unserü lehen verkouffen, versetzen, verpfenden und unsern kinden hingeben gantz, halb, drittail untz (= bis) an den zwainzigosten tail, also daz den herren ir reht dar uf si behalten, und mag ouch nieman den, die uf den XVIII lehen sitzend, nütz angewinnen, eigen noch erbe, denne ouch mit den, die von selben lehen sint belehent.“

 

Ebenso besaßen die Gemeindebauern das Recht, gemeinsam eine Allmende zu bewirtschaften nach ihrem Gutdünken – nur ihren Hofgütern zuschlagen durften sie diese nicht.

 

Zur gemeinsamen Nutzung der Gemeinde hielt die Grundherrschaft ein „vaselrint“, d.h. Einen Zuchtstier, auf dem Dinghof. Den Zuchteber – das „vaselswin“ - lieferte der Pfarrer von Denzlingen. Fiel der Eber aus, konnten die Bauern dem Kirchherren den Zehnten vorenthalten.

 

Auch gegenüber dem Gerichtsherren treten die Höfebesitzer vereinigt als rechtlich-politische Körperschaft auf. Es werden Rechte vorgetragen, „die die gebursami het von minem herren von Friburch“ - der Ausdruckq „gebursami“, i.e. „Bauernschat“ - lässt keinen Zweifel an der politischen Vereinigung und ihrer Rechtsfähigkeit. Auch bei diesen Rechten steht der Anspruch, durch den Gerichtsherrn vor äußerer Gewalt geschützt zu werden und den Landfrieden aufrecht erhalten zu lassen, an erster Stelle. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass der Graf diejenigen, die Schaden anrichten, auf eine Burg nehmen und sie dort festhalten soll. Und der muss für den Geleitschutz sorgen, wenn jemand den Gerichtsbezirk zu verlassen hatte (wie etwa ein Schuldner, der innerhalb eines Jahres seine Schulden nicht zurückerstatten konnten). Mit anderen Worten, es sollten so Selbstjustiz oder Blutrache verhindert werden.

 

Von den ansässigen Bauern durfte allerdings keiner „umb kain missetat“ verhaftet werden, es sei denn, dass das Verbrechen tödlich endete. Ein „Bagkenschlag“, d.h. eine stumpfe Verletzung, kostete 3 Schilling, ein „bluetand schlag“ kostete 5 Schilling an den Grafen von Freiburg., ein „totslag“ kostete „lip und guet“, d.h. den Hof und das Lebensrecht im Gerichtsbezirk.Es fällt auf, dass die Strafgebühren für Körperverletzung unter den Rechtsansprüchen der Bauernschaft zu finden sind.

 

Die herrschaftlichen Zinsen (heute würde man sagen: Steuern) werden nicht für jeden einzelnen Hof, sondern gesammelt genannt, so dass auch hier der Gemeindecharakter sichtbar wird: Vier Pfund Pfennig an Ostern, vier Pfund Pfennig im Herbst, 15 Mutt Hafer am Martinstag und vierzig Hühner zu Fastnacht betrug die Jahresabgabe, die der Vogt von den 18 Lehen einzog.

 

Die Glottertäler waren waffenfähig: Im Vortrag wird erwähnt, dass der Graf von Freiburg sie „mit ir schilt und mit sper“ einen Tag und eine Nacht im Jahr einberufen durfte; brauchte er sie länger, war das freiwillig und er musste darum bitten. Auch dies ist wiederum ein deutlicher Hinweis auf den Rodungsfreiheits-Status der Leute im oberen Glottertal.

 

Im letzten Artikel ließen sich die Bauern das Recht bestätigen, Fische in den herrschaftlichen Gewässern fangen zu dürfen, um Gäste zu verköstigen oder Kranke zu ernähren. Das Marktrecht im Glottertal behielt der Graf von Freiburg jedoch für sich.

 

Einen Verglech hierzu bietet der Text, der etwa zur gleichen Zeit den zum Margaretenstift Waldkirch zugehörigen Bauern im unteren Glottertal aufgeschrieben und vorgetragen wurden.

 

 

Die Dingrechtsbestimung für die dem St. Margaretenstift Waldkirch

unterstehenden Glottertäler

 

Herzog Burkhard I. von Schwaben und seine Gemahlin Reginlindis hatten zwischen 918 und 926 die Frauenabtei in Waldkirch gegründet.Sie wurde zum Hauskloster und zur Grablege der Herzogsfamilie und stand für deren Absicht, Oberrhein und Schwarzwald – über das Elztal – machtpolitisch zu durchdringen. Zur besitzmäßigen Ausstattung des Margaretenstiftes gehörten neben zahlreichen Gütern im Breisgau auch das Meiertum Heuweiler und die grundherrschaftlichen Rechte im unteren Glottertal, rechts des Bades bis zum Einbollen. In deren Schenkungs- und Bestätigungsurkunden für das Kloster werden Wohnstätten bis zum 12. Jahrhundert nicht erwähnt, jedoch geht ohne Zweifel die herrschaftliche Erfassung und die geordnete Besiedelung, die sich im 14. Jahrhundert in Schriftzeugnissen nachweisen lässt, und die Anlage eines Dinghofes unter der Regie des Klosters Waldkirch vor sich.

 

Der grundherrschaftlich-waldkirchische Rodeltext scheint stärker von der Herrschaftsseite bestimmt, die Autonomie der bäuerlichen Gemeinde ist nicht ganz so deutlich ausgedrückt wie im Rechtsvortrag für das obere Glottertal.

 

Die Dingerichtsversammlung wurde einmal pro Jahr von der Äbtissin zu einem von ihr gewählten Zeitpunkt einberufen. Alle über 12 Jahre alten und auf waldkirchischen Gütern sitzenden Leute hatten zu erscheinen, vor allem, um dem Kloster den Treue- und Verbindungsschwur, die „Huldigung“, zu leisten. Die gemeinschaftliche Huldigung war ein promissorischer Eid, mit dem sich die Bauern mit beginnendem Heiratsalter in den grundherrschaftlichen Dinghofverband ergaben. Für das Verhältnis zwischen der Herrschaft und den Hofhörigen hatte der öffentlich vollziehbare Schwurgestus mit erhobener Hand und drei ausgestreckten Fingern sowie mit einer religiös untermauerten Schwurformel zentrale Bedeutung. Dadurch wurde das Herrschaftsverhältnis sichtbar anerkannt und legitimiert. Damals kam diesem Akt die gleiche Bedeutung zu wie heute der rechtsgültigen, eigenhändigen Unterschrift unter einen Vertrag. Wer die Dinggerichtsversammlung versäumte, wurde deshalb mit 3 Schillingen Buße belegt. Dieses Strafgeld ging ausschließlich an den Vogt, die Bauernschaft erhielt nichts davon.

 

Eine zentrale herrschaftliche Befugnis, die beim Rechtsvortrag immer in Erinnerung gerufen wurde, war der Einzug des besten Stück Viehs aus dem Besitz eines dinghofhörigen Mannes oder des besten Kleides einer dinghofhörigen Frau nach deren Ableben, der „Todfall“. Damit wurde bei jedem Erbgang deutlich dokumentiert, dass das bewirtschaftete Land vom Grundherrschaftsträger gleichsam nur ausgeliehen war, die Bauern daran die (faktisch erbliche) Nutzung, nicht aber das Eigentum besaßen.

 

Der Text vermerkt darüber hinaus ein wichtiges Recht der Glottertäler, nämlich die Heirat mit Partnern, die nicht der Leibherrschaft des Margeretenstiftes unterstanden, die sogenannte „ungenossame Ehe“. Im Unterschied dazu war die ungenossame Ehe den Angehörigen der stiftischen Dinghöfe im Elztal (beispielsweise in Simonswald, Yach, Prechtal, Biederbach) verwehrt. Gleichzeitig hatte die Äbtissin dafür zu sorgen, dass diese von den Bauern beanspruchte freie Gattenwahl nicht behindert wurde. Wenn also die Nachkommen der Glottertäler außerhalb des Grundherrschaftsbezirks eine Familie gründen oder überhaupt wegziehen wollten, so durfte man sie nicht „daran sumen oder irren“. Ein wesentliches Element der Leibeigenschaft war damit außer Kraft.

 

Eines aber vermerkt der Text ausdrücklich: Niemand unter den dem Margaretenstift zugehörigen Leuten, weder Mann noch Frau, durften Stadtbürger werden oder den geistlichen Stand annehmen, es sei denn, die Äbtissin erlaubte es. Übertrat jemand dieses Gebot, konnte sie „mit gewalt und mit recht“ die Person verfolgen und zurückholen lassen.

 

Als einer der wichtigsten Bestimmungen, der auf vorangegangene Unstimmigkeiten zwischen Bauern und weltlicher Herrschaft schließen lässt, wurde vorgetragen: Die Äbtissin hatten den allgemeinen Schutz der Bauern zu gewährleisten, falls der Vogtherr die herkömmlichen Steuern und Dienste zu erhöhen beabsichtigte. Nur wenn der Vogtherr eines seiner Kinder verheiraten (also aussteuern musste) oder „über mere varn“ wollte (d.h. eine Pilgerfahrt etwa ins heilige Land unternehmen oder sich an einem Kreuzzug beteiligen), durfte er um eine Sondersteuer bitten, deren Umfang jedoch die Bauern bemaßen und nicht die Herrschaft.

 

Für Körperverletzungen legte man übrigens die gleichen Geldstrafen fest wie im konstanzischen Dinggericht: ein „bluotige(r) streich“ kostete 5 Schilling, ein „truckene(r) streich“ 3 Schilling. Auch hier lässt der vergewissernde Zusatz „und nút me“ (und nicht mehr) auf die Abwehr höherer Forderungen des Vogtherrn schließen.

 

 

Der für die ehemals St. Petrischen Höfe im Glottertal geltende Vortragstext

aus dem 15. Jahrhundert

 

Aus dem „rotulus sanpetrinus“, dem berühmten mittelalterlichen Güterverzeichnis von St. Peter, weiß mann, dass das Schwarzwaldkloster mindestens seit 1111/1112 im Glottertal abgabepflichtige Hofstellen besaß. Doch erst aus dem 15. Jahrhundert ist ein Dingrodel überliefert, der die entsprechenden Rechtsbestimmungen explizit auch auf den hiesigen Hofverband bezieht.

 

Aus dem Vorsatzblatt des Rodels geht hervor, wie der Text zustande kam: Es wurde vermerkt, dass einerseits etliche ältere Schriftstücke durch „fewers brunst“ in Verlust geraten war – zuletzt war das Kloster 1437 vollständig abgebrannt –, dass sich andererseits die dem Kloster zugehörigen Bauern über das beiderseitige Rechtsverhältnis sowie über die wirtschaftlichen Belastungen nachdrücklich beschwert hatten. Deshalb wollte man aus den übrig gebliebenen Urkunden und vor allem aus der Erinnerung der ältesten und erfahrensten Leute der st. petrischen Grundherrschaft das allgemeingültige Gewohnheitsrecht herausfinden. 14 Schöffen wurden aus den st. petrischen Dinggerichtsbezirken der Umgebung dazu aufgerufen. 7 Leute wählte der Abt. Weitere 7 sandte die Bauernschaft. Unter letzteren befand sich auch ein Hanß Haug, der Vertreter aus dem Glottertal. Die Schöffen mussten sich nun auf einen Text einigen und den in einem Dingrodel festschreiben lassen, der künftig auf den Dinggerichten abgelesen werden sollte. Da der Rodel ebenfalls nicht datiert wurde, ist die Zeit der Aufzeichnung allenfalls einzugrenzen anhand des im Text genannten Initiators, Abt Johann von Küssenberg, der von 1453 bis 1469 regierte. (Ohne nähere Begründung hat 300 Jahre später Abt Jacob Steyrer, der 1754 alle damaligen Rechtssatzungen des Schwarzwaldklosters in einem einzigen Werk vereinigte, die Niederschrift auf ungefähr 1459 festgelegt [„circa annum 1459“]).

 

Zum Vortrag kam jeweils auf der wichtigsten Versammlung „zu mitter dem hornung“ (also Mitte Februar) in den einzelnen Dinghöfen: An diesen Gerichtstagen ritt der Abt zuerst nach Eschbach, dann in das Ibental, ins Rohr und zuletzt eben zum Glottertäler Dinghof im Lauterbachtälchen, um selbst den Vorsitz zu führen. Er nahm wie die Waldkircher Äbtissin den Huldigungseid der neuen Untertanen entgegen. Eine Gerichtsgebühr wurde ebenfalls eingezogen: immer vier Bauernlehen bezahlten zusammen fünf Rappenpfennig. Wer den Termin aber versäumte, dem drohte ein Strafgeld von drei Schilling Rappenpfennig an den Meier (dies allein also im ungünstigsten Fall schon das 36fache der Gerichtsgebühr) und dasselbe noch einmal an jeden beim Gericht anwesenden Bauern. Zwei Bauern aus dem Glottertal freilich, die nicht im Lauterbachtälchen, sondern im Rohr zur Gerichtsversammlung erscheinen mussten, waren vom Dinggeld befreit. Aber „darumb sind sie schuldig, meinem Herrn zu Sant Peter seinen pferdt an seinem Zahm und stegreiff zuegreiff wan er zue dem geding reitet oder da hinweg wil reiten.“ Das Halten des Steigbügels ist ein mittelalterlicher Unterwerfungsritus, mit dem die beiden Glottertäler, die von Rohr weiter entfernt wohnten, ihre Zugehörigkeit zu Sankt Peter auffällig demonstrierten.

 

Als Vorsitzender hielt der Abt dem Gerichtsstab, außer, wenn ein Totschlag zur Verhandlung kam:

„Es mag ouch ein apt zu sant Peter an dem gericht sitzen neben dem vogt uncz an die urteil, die dem übeltetter an das leben gat, denn sol er us den schranken treten und wenn dieselb urteil gesprochen wird, so mag er wider sitzen ob er wil. Es mag ouch ein apt alle gericht besitzen bis es einem an den lib gat, so sol der apt den stab wider einem vogt geben, bis das urteil für gat, so mag der apt den stab widerumb nemen.“

 

Der Stab war das öffentlich sichtbare Symbol der Gerichtsgewalt. Mit der Übergabe des Stabes übertrug der Abt den Gerichtsvorsitz an den Kastvogt – zur Entstehungszeit des Rodels war das der Markgraf von Baden-Hachberg (mit Sitz auf der heutigen Hochburg bei Sexau). Der Stab erscheint in der weitgehend schriftlosen Gesellschaft des Mittelalters als der Ausweis des Ricchters, er war das Wahrzeichen der Gerichtsherrschaft. Ohne ihn aufrecht in der Hand zu halten konnte kein Richter tätig werden und keine Bußen verlangen; so legitimiert und kennzeichnet er zugleich den Inhaber der Amtsgewalt.

 

Um zu verhüten, dass sich die Bauerngemeinden dieser Amtsgewalt entzogen und ihre Kriminalangelegenheiten selber regelten, wurde eigens verkündet, dass alle Bauern anlässlich des Dinggerichts verpflichtet seien, „by irenn eydenn zu rügenn alles das sy zu rugenn wol bedunckt buszwirdig sin, es sy in holtz veld wasser wun oder weyd, das dem gotshus zu gehoret, oder innen selbs oder vogt oder meyer.“ Damit war der exklusive Anspruch des Klosters (des 'gotshus'), Anklagen entgegenzunehmen sowie Bußen zu verhängen und einzuziehen, ausgesprochen. Weiterhin wurde vorgetragen, dass jeder Haushalt zum Fastnachtstermin ein Huhn abzugeben hatte – zum Zeichen der Anerkennung des Herrschaftsverhältnisses. Eingesammelt wurden die Hühner vom (Unter-)vogt, der auf diese Weise eine Gegenleistung erhielt für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens. Familien, die denen eine Frau gerade nieder gekommen war, wurden allerdings begünstigt. Hier vollzog sich die Abgabe rein symbolisch: „Item wenn ouch ein vogt hünr samlot und keme für ein kindbetten hus, so sol er im heiszen die hünr vahen, und sol si würgen und wider in das hus werfen, das die fraw die äsze.“ Wenn das Huhn zunächst vom Vogt eingezogen wurde, der es jedoch getötet zurück warf, so heißt das, dass der Tatbestand der Übergabe auf jeden Fall erfüllt sein musste, um dem Anspruch des Vogtes Genüge zu tun – einerlei, wer das Tier schließlich verzehrte. Dass der Untervogt aus der jeweiligen Gemeinde stammen musste, wird nicht ausdrücklich gesagt; immerhin war aber der Abt auf die Einwilligung der Bauernschaft angewiesen, wenn er ihn einsetzte.

 

Am Rande sei noch mitgeteilt, dass die oben erwähnten Beschwerden der bäuerlichen Hintersassen Erfolg hatten. Die st. petrischen Höfe, unter anderem im Lauterbachtälchen und das Lehengut „am schandbletz“ im Glottertal, wurden von der ruinösen Dritteil-Abgabe bei Veräußerung oder Vererbung befreit; stattdessen ist im Dingrodel nurmehr vom „erschatz“ die Rede, einer weit geringeren Handänderungssteuer, die ursprünglich den Freileuten vorbehalten war.

 

 

Kurz betrachtet: Föhrental und Ohrensbach

 

Die Besiedelung im Föhrental war eingangs des 13. Jahrhunderts ebenfalls abgeschlossen und dokumentiert. Um 1217/1222 ist im Kloster Einsiedeln (Schweiz) ein Urbar angelegt worden, das in „Verrental“ 17 Hofstellen verzeichnet, so viel wie heute noch existieren (Einsiedeln gilt wahrscheinlich seit dem 10. Jahrhundert die Grundherrschaft inne; das nächstfolgende Einsiedler Urbar von 1334 nennt bereits keine Glottertäler Besitztitel mehr). Im 14. Jahrhundert erscheint das Föhrental unter der Herrschaft der Herren von Falkenstein – bis diese 1407 ihre Besitzungen und Ansprüche veräußern mussten. Im Kaufvertrag erscheint ein Föhrentäler Dinghof mit nicht näher bestimmten Rechten für die Leute des Dinghofverbandes. Wie diese Rechte vollständig gelautet haben mögen, da keine Dingrodel angelegt worden ist oder zumindest keine archivalische Überlieferung besteht.

 

Die früheste bekannte Erwähnung des Ohrensbachtales hat ebenfalls das Einsiedler Urbar um 1217/1222; eine weitere enthält das Urbar des Klosters Günterstal von 1344. Darin ist auch für Ohrensbach ein Dinghof bezeugt und von einer Gerichtsversammlung die Rede, die der Junker von Falkenstein leitete und die von 7 namentlich genannten Glottertäler Schöffen besetzt wurde. Ein Rechtstext auf einem Dingrodel ist freilich nicht erhalten; entweder ist er verloren gegangen oder aber nicht schriftlich verfasst worden. In einer späteren Nachricht, eine beurkundete Zinsstreitigkeit datiert vom 3. Juni 1454, geht es ebenfalls um die Siedlung „Morenspach“, ohne dass auf ein Dinggericht oder einen Dingrodel Bezug genommen wird.

 

Unterdessen muss jedoch die politische Gliederung des Glottertales abgeschlossen worden sein: Anlässlich der Gründung der Liebfrauenbruderschaft im Kirchspiel am 18. September1469 zeigt sich, dass Glottertal in die vier Vogteien, deren Namen heute noch die Ortsteile bezeichnen, aufgetelt ist.

 

Der Gründungsakt vollzogen zusammen mit dem Leutpriester die Vögte und Dinghofmeier Hans Growenbach vom „oberen Gericht“, Cloß Flamm für Föhrental, Cuonrat Búrle für das stift-walkirchische Untertal und Hans Heck für „des frommen vesten junkhern Hans Jacoben von Falkenstein gericht“, womit Ohrensbach gemeint ist.

 

 

Die weitere Entwicklung in der frühen Neuzeit

 

Bis zum Jahre 1566 sind im stift-walkirchischem Unterglottertal die Dinggerichte und der Vortrag des Rechtstextes nach dem herkömmlichen Verfahren sicher bezeugt.

 

Als im Jahr 1567 das Stift wieder ein Dinggericht einberufen sollte, weigerte sich der dortige Vogt, daran teilzunehmen und den Gerichtsstab mitzubringen.

 

Danach sollen noch Dinggerichte bis ins frühe 17. Jahrhundert hinein abgehalten worden sein – das jedenfalls wird in einem Aktenheft über die stiftischen Meiertümer, dessen Laufzeit bis 1618 reicht, berichtet. Die österreichischen Amtsleute behielten allerdings jeweils den Stab ein. Obwohl neue Abschriften, „Renovationen“, des Dinggerichtstextes bis ins 18. Jahrhundert angefertigt wurden, verloren die Versammlugen ihre ursprüngliche Bedeutung.

 

Im st. petrischen Gebiet war seit 1582 eine „Policeyordnung“ in Kraft, die ohne bäuerliche Mitwirkung formuliert worden war und die den herkömmlichen Dingrodel teilweise ersetzte. Als wichtigste Zusammenkunft sah diese ein sogenanntes „Jahrgeding“ im Klosterhof selbst vor. Auch hier ging die Bedeutung der lokalen Dinggerichtsversammlungen zurück; allmählich wurden sie in „Ruggerichte“ umbenannt.

 

Für die ehemalig konstanzische Gerichtsgemeinde im oberen Glottertal hat man etwas später eine wichtige Niederschrift über eine Gerichtsversammlung, das „Dinckgerichts Verzeichnus“ vom 12. März 1608. An diesem Protokoll sind einschneidende Veränderungen gegenüber der Situation im Mittelalter exemplarisch zu erkennen.

 

Inzwischen war die Gerichtsherrschaft von den Grafen von Freiburg durch den Kauf an das Erzhaus Habsburg übergegangen. Mindestens seit 1406, als Herzog Friedrich von Österreich eine Streitsache um die Glottertäler Kirche schlichtete, lag die Oberlehensherrlichkeit bei den Habsburgern. Zusätzliche Macht erhielten sie im Jahre 1567 dadruch, dass sie die Herrschaft Schwarzenberg und damit die mit ihr verbundenen Herrschaftsrechte im oberen und unteren Glottertal erwarben. Auch das nachbarliche Ohrensbach, mittlerweile als eigener „Weyler“ bzw. „Dörfflein“ bezeichnet, fiel wenige Jahre später (1576) durch den Verkauf an Erzherzog Ferdinand von Habsburg. Damit waren nunmehr 3 der 4 Glottertäler Vogteien an Habsburg gelangt.

 

Unter einem habsburgischen Obervogt war eine Regionalverwaltung eingerichtet worden, die „Herrschaft Castell- und Schwarzenberg“ mit Sitz in Waldkirch, eines der Ämter, die die vorderösterreichischen Lande nach territorialstaatlichen Gesichtspunkten neu zu organisieren hatten. Sie traten mit dem Anspruch der umfassenden und konkurrenzlosen Gesetzgebung einer frühneuzeitlichen Landeshoheit auf, in die die alten grundherrschaftlichen Bestimmungen nicht mehr so recht hineinpassten. Es wurden Polizeiordnungen, Mandate und für ganz Vorderösterreich geltende Landesordnungen veröffentlicht, die seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert langsam die mittelalterlichen Dinggerichtstexte ablösen sollten. Unter anderem mit der „Forst-Ordnung“ von 1557, der „Wald-Ordnung“ von 1558 und dem „Artikelbrief“ von 1571 versuchten die habsburgischen Amtsleute aus Waldkirch, die Rechtssprechung uneingeschränkt an sich zu ziehen. Aber noch gab es eine Grundherrschaft:

Zwischenzeitlich waren die Rechte des Dinghofverbandes 1466 vom Domkapitel Konstanz an das Chorherrenstift in Waldkirch übergegangen, dieses verkaufte dieselben Dingrechte 1473 an den Freiburger Bürger Albrecht Braun, von dem sie 1475 an die Deutschordenskommende Freiburg gelangten, inbegriffen die 18 Lehengüter mit allen beim Dinggericht vorzutragenden Befugnissen. Der Deutschordenskommentur, Caspar von Stadion, behielt sich 1608 das Recht vor, durch seinen Vertreter im Glottertal, dem Meier Leonard Gör (auf diesen Namen geht der 'Gehrenhof' beim Glotterbad zurück), das herkömmliche Dinggericht einberufen zu lassen. So existierten also für die Oberglottertäler Bauerngemeinde zwei sich überschneidende Rechtsverhältnisse. Wo – zum Beispiel – der Dingrodeltext die freie Allmendnutzung gewährte, da bestritt die von den habsburgischen Amtsleuten ausgehende Forst-Ordnung der Bauernschaft gerade die Verfügung über den Gemeindewald. Und dieselben Amtsleute reklamierten das von ihnen eingesetzte Gericht am Stahlhof (bei Waldkirch) als das bessere und maßgebliche. Sie wollten die Abhaltung des Dinggerichts unterbinden und hatten deshalb eine Protestnote an die Oberglottertäler Lehenbesitzer gerichtet. Gemäß dem älteren Recht des Dingrodels berief man die Dinggerichtsversammlung dennoch ein. Das Protokoll beginnt folgendermaßen:

„Anfangs ist der stab vom österreichischem Vogt, Hannsen Schümperlin genannt, uff des edlen gestrengen auch ernvesten und fürgeachten Herrn Itell Josen von Reinach unnd Hanns Werner Merzen, damahlen anwesende OberAmptleuth der Herrschaft Castell und Schwarzenberg als seiner gnädigsten Herrn, gnädiger erlaubnus des Erwürdig Edlen und gestrengen Herrn Johann Caspars von Stadion Teutschordens Ritters und Commenthurs zu Fryburg im Brißgow abgeordneten als den erenvesten hochgelehrten auch ernhafften Herrn Sigmund Wittumben der Rechte doctorn und bey lob(licher). Universitet zu Fryburg Profehsor Sigmund Reüschen Steffan Drexeln wolermelts HN Commenthurs und Teutschen Hauses Advocaten Schaffnern und Hausmeistern und gevollmächtigen Anwälden, cum protestatione übergeben worden, damit zu verhandlen, und weiters nit, weder was die achzehn lehen, so dinckhövig anlangt und selbige bemelter Commenthurey Fryburg zugehörig zins und dingkhofgüetter gerechtsame.

Also haben die zuvorbelehnte dinghövige Personen uff beger H(er)r. D(octor). Wittumbs sich der gepür nidergesetzt.“

 

Der Deutschordenskommentur hatte sich demanch des Beistandes einiger akademisch ausgebildeter Juristen versichert, die den korrekten Ablauf überwachten und die Sache unanfechtbar machen sollten. Denen musste zunächst der Gerichtsstab übergeben werden, was äußerst widerwillig geschah: Nur unter Protest - „cum protestatione“ - gab der österreichische Vogt das Symbol der Richtergewalt aus der Hand. Sodann konnten die Beteiligten sich setzen und damit die Veranstaltung eröffnen. Die in ordentlicher Zahl (14) erschienenen Gerichtsleute waren:

„Hanns Schümperlin der zeit vogt daselbsten

Michael Blattmann

Thoma Haug

Christa Teutsch

Joacob Kapp

Andres Behem

Conradt Gör

Zue deme so haben uf ermelts Hr. Doctor haissen sich die noch bis dato nit belehnet gewesen, auch nidergesetzt, als die nachvolgende

Leonardt Gör, so die zeit her das meyerampt versehen

Georg Hör

Basti Weiß

Claus Reichenbach

Martin Linder

Hanns Flamm

Ulrich Teutsch.“

 

Danach wurde „mit Einhelliger stimm und maynung“ Leonardt Gör als Meier erklärt und eingesetzt; zugleich wurde ihm der Gerichtsstab übertragen. An diesen Stab gelobten die oben genannten alt- und am Tag neubelehnten Bauern, den Bestimmungen des Dingrodeltextes zu „parieren und zu gehorsamen“. Nun aber folgen die Verhandlungen:

In der für diesen Zusammenhang exemplarischen Sache „hat M. Blattmann dem H. Flammen 200 Gulden fürgestreckt und selbige mit seinen habenden Dinckhofgüetern vor Gericht begehrt zu versichern, weil der Dinckhofrodel ußweiset, daß sy dergleichen Güeter wol mögen versetzen und verpfenden, Und ist solche Sach für die Oberamptleut obgenant gewisen worden.“

 

Die Gerichtsleute verhielten sich also sehr vorsichtig und diplomatisch. Im einzigen schwerwiegenden Fall, betreffend die Verleihung von 200 Gulden an Hans Flamm, der als Sicherheit sein Lehengut verpfänden wollte, urteilten Gör und seine Beisitzer zwar, dass die Kreditnahme laut Dingrodel rechtens sei. Doch die endgültige Lösung der Sache verwiesen sie an den österreichischen Amtssitz Castell- und Schwarzenberg in Waldkirch. Damit erkannten sie die Zuständigkeit der habsburgischen Obervögte an.

 

Es gibt ein Sprichwort, welches besagt, dass einem das Hemd näher sei als der Rock. Genauso handelten hier die Gerichtsleute. Denn die vorderösterreichische Verwaltung und Militärmacht saß in unmittelbarer Nachbarschaft und konnte die Lebensumstände im Glottertal direkt beeinflussen – zum Guten wie zum Schlechten. Das Erzhaus Habsburg stellte die mächtigste Landesherrschaft in ganz Südwestdeutschland dar. Den Protest ihrer Vertreter zu ignorieren wäre nicht ohne Risiko für den Meier Leonardt Gör und die Gemeinde gewesen.

 

Nach 1608 gibt es für längere Zeit keine archivalischen Dokumente zu den Dinggerichtsversammlungen mehr. Vor allem der Dreißigjährige Krieg 1618 – 1648, in dem der Breisgau schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde, mag hier auch die Institutionen des Zusammenlebens zerstört haben. Erst 1653 bis 1656 und 1654 werden wieder Konflikte über die Abhaltung von Dinggerichten aktenkundig, diesmal auch zwischen dem Amtsverwalter von St. Peter undh dem Deutschordenkommentur; zudem ist wiederum ein Protokoll über ein Dinggericht der 18 Lehen im oberen Glottertal und die Begleitumstände ausgefertigt worden. Ein erster Versuch, die Gerichtsgemeinde zu versammeln, war fehlgeschlagen. Der vorderösterreichische Amtmann hatte nicht nur einen Protest eingelegt, sondern sich auch „angemasset, selbsten bey dem gericht zue sitzen, unnd demselben bey zue wohnen.“ Da dies jedoch den traditionellen Gepflogenheiten widersprach, zogen die Gerichtsleute unverrichteter Dinge wieder ab. Nach energischen Beschwerdebriefen von seiten der Deutschordenkommende an die vorderösterreichische Zentralregierung in Ensisheim (Elsaß) kam am 28. November 1656 doch eine Dingtag zustande. Obwohl die castell-schwarzenbergische Verwaltung in Waldkirch mit zahlreichen Anfragen und Protestnoten gewisse Verzögerungen bewirkte, konnte sie letztlich die Versammlung nicht verhindern. Indessen machte sie unmissverständlich klar, dass man gegen diese eingestellt war.

 

Inzwischen hieß der Meier Georg Gör. Im Verlauf der Sitzung fragte er die Anwesenden, ob ihnen Verstöße gegen die Artikel des Dingrodeltextes bekannt seien. Er forderte alle Teilnehmer auf, diesbezügliche Frevel und Verbrechen anzuzeigen. Weil jedoch „keiner nichts fürzubringen gewußt“, kündigte der Meier das Gericht wieder auf. Danach überantwortete er den Stab zurück an den österreichischen Vogt. Niemand konnte oder wollte also etwas anzeigen, rügen oder beklagen. Damit war das grundherrschaft-bäuerliche Dinggericht praktisch bedeutungslos geworden. Um sein Recht zu suchen, wandte man sich nun eher an die Instanz in Waldkirch. Das Protokoll von 1656 ist die letzte überlieferte Nachricht über eine Dinggerichtsversammlung im Glottertal.

 

Trotzdem hielt man es für nötig, den Dingrodeltext später – 1661 – noch zu renovieren, das heißt im selben Wortlaut erneut abzuschreiben und zu beglaubigen.

 

Eine veränderte Fortsetzung erfuhren die ehemaligen Dinggerichtsveranstaltungen als „Ruggerichte“ noch im 18. und frühen 19. Jahrhundert als obrigkeitliche Inspektionstermine, zu denen die Vertreter der aufsichtsführenden Regierungsbehörde den Ort besuchten, aum Kontrollfunktionen wahrzunehmen, und an denen die Talbewohner Beschwerden und Rechtsverletzungen („Rügen“) vorbringen konnten. Ein Rechtsvortrag und eine bäuerliche Urteilsfindung fand allerdings nicht mehr statt. Und doch sind diese Ruggerichte in anderer Hinsicht bedeutsam gewesen, bedeutsam nämlich für die Einführung gemeinsamer Aufgaben aller vier politischen Gemeinden zusammen: 1834, in den frühesten greifbaren Protokollen, heißt es, dass einige öffentliche Leistungen gemeinsam besprochen und erledigt werden sollten, wie zum Beispiel Kirchenbauangelegenheiten, Bedürfnisse des schulischen Unterrichts oder die Bereitstellung von Feuerlöschgeräten. Damit hatte eine Entwicklung eingesetzt, die schließlich 1970 in der politisch-verwaltungstechnischen Zusammenlegung zu einer Gessamtgemeinde Glottertal ihren Endpunkt findet.

 

 

 

 

 

 

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